In besonderen Situationen vergeben Kommunen Baugrundstücke im vereinfachten Verfahren. Aktuell ist das in Harsewinkel der Fall. Familien, die beispielsweise im Ortsteil Greffen ihr Eigenheim bauen wollen, können noch bis zum 31.3.2021 vom Baukindergeld profitieren. Voraussetzung dafür ist, dass die Stadt Harsewinkel bis dahin noch die Baugenehmigung für das Bauvorhaben erteilt. Die Stadt erwägt, die Baugenehmigungen zur Not auch im vereinfachten Verfahren zu vergeben. viaLog-Architektin Carmen Westerbarkey erläutert die Besonderheiten im Interview.
Frau Westerbarkey, was muss ein Bauherr tun, um eine Baugenehmigung zu erhalten?
Carmen Westerbarkey: Zunächst sollte der Bauherr prüfen, ob für sein Bauvorhaben überhaupt ein Bauantrag gestellt werden muss. Kleinere Projekte wie Gartenhäuser, Carports, Garagen oder kleine Vorbauten, die nicht als Aufenthaltsräume dienen, können auch ohne das behördliche Genehmigungsverfahren errichtet werden. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass sie die Festsetzungen des „qualifizierten Bebauungsplans“ einhalten. Dann reicht es aus, die Gemeinde über das Projekt zu informieren.
Wenn für das Bauvorhaben ein Bauantrag notwendig ist, kann dieser nur von jemandem eingereicht werden, der bauvorlageberechtigt, d.h. Mitglied der Architektenkammer ist. Bei einem Neubau, Umbau oder bei Anbaumaßnahmen reicht in der Regel der Architekt oder Bauingenieur den Bauantrag ein.
Für einen Bauantrag sind folgende Dokumente, sogenannte „Bauvorlagen“, notwendig:
- Antragsformulare (Bauantrag, statistischer Erhebungsbogen, Baubeschreibung)
- Bauzeichnungen (Lageplan, Grundrisse, Schnitte, Ansichten)
- Berechnungen (Wohn- und Nutzflächenberechnung, umbauter Raum, Abstandsflächenberechnung, Baukosten, Berechnung der Geschossigkeit, der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl)
- Auszug aus dem Liegenschaftskataster
- Sicherheitsnachweise (statischer Nachweis, Nachweis des Wärmeschutzes)
Inwiefern unterscheidet sich ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren zur Erteilung von Baugenehmigungen von einem Baugenehmigungsverfahren?
Westerbarkey: Das vereinfachten Genehmigungsverfahren (auch Genehmigungsfreistellung genannt), ist nur bei bestimmten Bauvorhaben möglich, die in einem „qualifizierten Bebauungsplan“ liegen. Nebenanlagen wie Stellplätze oder Garagen, Terrassen oder Vorbauten sind in der Regel vom Baugenehmigungsverfahren freigestellt. Mit der Genehmigungsfreistellung soll dem Bauherrn das Bauen kleinerer Bauvorhaben erleichtert werden.
Der Antrag auf eine Genehmigungsfreistellung wird beim zuständigen Bauamt gestellt und beinhaltet, wie auch im normalen Bauantragsverfahren, alle üblichen Bauantragsunterlagen. Im Unterschied zum normalen Bauantragsverfahren übernimmt der Architekt und der Bauherr die Verantwortung darüber, dass die Bauvorschriften des Projekts eingehalten werden. Hier müssen die Architekten und die beteiligten Sachverständigen die Einhaltung des Baurechts selbst prüfen. Im normalen Bauantragsverfahren machen das die Bauaufsichtsbehörde. Die Bauaufsichtsbehörde prüft im vereinfachten Genehmigungsverfahren lediglich das Planungsrecht. Das Baurecht wird nur in reduziertem Umfang geprüft, z.B., ob alle öffentlich-rechtlichen Aspekte eingehalten werden. Generell darf das Bauvorhaben aber nicht den gesetzlichen Vorlagen widersprechen.
Wenn sich die Bauvorlagen ändern, ist der Bauherr dafür verantwortlich den Antrag auf die Genehmigungsfreistellung erneut beim Bauamt einzureichen. Das zuständige Bauamt hat auch bei einer Genehmigungsfreistellung jederzeit das Recht, die Baustelle auf Einhaltung der Vorschriften zu kontrollieren oder die Nutzung zu untersagen. Das heißt, bei einem Baufehler kann das Bauamt den Weiterbau verbieten und die Baustelle versiegeln. Der Bauherr ist verpflichtet, den Beginn und die Fertigstellung des Bauvorhabens beim Bauamt anzuzeigen und einen verantwortlichen Bauleiter für das Bauvorhaben zu benennen. In einem Genehmigungsverfahren findet zur Fertigstellung des Gebäudes keine Bauabnahme durch das Bauamt statt.DAher sollte der Bauherr immer einen Bauberater, meist einen Architekten, hinzuziehen, um sich rechtlich abzusichern.
Ist es realistisch, dass Bauherren im Fall von Harsewinkel / Greffen ohne Baugenehmigung innerhalb von 6 Wochen noch alle Unterlagen für eine Baugenehmigung zusammen bekommen?
Westerbarkey: Mit dem Bauvorhaben darf einen Monat nach Antragstellung bei der Bauaufsichtsbehörde begonnen werden. Teilt die Bauaufsichtsbehörde dem Antragsteller (Bauherrn) vor Ablauf der Frist schriftlich mit, dass kein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden soll und sie eine Untersagung nicht beantragen wird, darf der Antragsteller (Bauherr) mit der Ausführung des Bauvorhabens beginnen. Daher ist die Wahrscheinlichkeit eine Baugenehmigung innerhalb von 6 Wochen über das Genehmigungsfreistellungsverfahren wahrscheinlich höher, als über das normale Baugenehmigungsverfahren.
Wie lange dauert es normalerweise, eine Baugenehmigung zu erhalten?
Westerbarkey: Normalerweise kann es zwischen drei und vier Monaten dauern, bis die Behörde eine Baugenehmigung erteilt. Zurzeit dauert es aufgrund der Pandemie oft noch länger. Bei der Antragstellung solltet daher darauf geachtet werden, dass alle notwendigen Dokumente vorliegen. So vermeidet man spätere Nachfragen der Baubehörde und das Verfahren verläuft ohne Verzögerungen. Wichtig ist es, die Baugenehmigung nicht verfallen zu lassen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise ist eine Baugenehmigung drei Jahre gültig. Es besteht allerdings die Möglichkeit, die Baugenehmigung um jeweils ein Jahr verlängern zu lassen.
Das Interview führte Liesa Schall.
Carmen Westerbarkey, Geschäftsführerin viaLog Bauplanung GmbH
Carmen Westerbarkey ist Diplom-Ingenieurin (FH) für Architektur und Geschäftsführerin der viaLog Bauplanung GmbH. Frau Westerbarkey hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Planung und Abwicklung unterschiedlichster Projekte aus den Bereichen Industriebau, Gewerbebau und Wohnungsbau.